Seit dem Jahr 2000 wurden umfangreiche Sanierungsarbeiten an der Liebfrauenkirche zu Arnstadt durchgeführt.
Die gesamte Dacheindeckung der Liebfrauenkirche musste dringend erneuert werden. Viele Dachziegel lagen nur noch durch Haftreibung an ihrer Stelle und konnten jeder Zeit abrutschen (Dachneigung über 50°), was eine große Gefahr für jegliche Personen, die sich im Kirchhof aufhielten, darstellte.
Der zwischen 1950 und 1960 neu aufgesetzte Dachstuhl im gotischen Kirchenbereich war stark unterbemessen und hatte zum Teil erhebliche fachliche Mängel (zu kurze Sparren, fehlende Aussteifungsböcke, zu schwache Sparren usw.). Sich unter Überlast verdrehende Fußpfetten sind auf Bauzustandsfotos zu erkennen. Aus organisatorischen Gründen wurde der Dachstuhl vor der Neueindeckung zimmermannsmäßig verstärkt und saniert. Mit Hilfe spezieller Handwerkstechniken konnte ein Abrutschen loser Ziegel weitestgehend verhindert werden. Es wurden über 900m Bauholz zusätzlich eingebaut.
Die Figur unter einem der viel zu kurzen Wasserspeier und die Abschalungen am oberen Pfeilermauerwerk sprechen Bände zum Thema unkontrollierte Regenwasserableitung.
Vom großen Westwerk der Kirche bereitete der Zustand des Süd- West- Turmes einiges planerisches Kopfzerbrechen. Wie ist die Schalenbildung am Turmschaft statisch zu bewerten? Deutliche Ausbauchungen der äußeren Mauerwerksschale und Abrisse waren leicht erkennbar. Das Westwerk hat diesbezüglich eine unrühmliche Geschichte. Vor etwas mehr als 100 Jahren wurden beide Türme wegen ähnlicher Probleme zum Teil völlig abgetragen und neu errichtet! Bitte nicht schon wieder. Nach langwierigen Untersuchungen wurden umfangreiche Vernadelungen unter Beibehaltung der Verformung als kostengünstigste Reparatur als richtig erachtet und vorgeschlagen. Die komplette Oberfläche des Turmmauerwerkes wurde natursteintechnisch überarbeitet. Die Verwerfungen der Bündelsäulen im oberen Turmbereich entpuppten sich als harmlose Montageungenauigkeiten während des Wiederaufbaues vor etwa 100 Jahren. Der Zustand der Mauerwerksfugen wurde mit steigender Turmhöhe nahezu dramatisch schlecht. Auf dem Gerüst stehend konnte eine Person den Turmhelm an seiner Spitze ohne große Kraftanstrengung um 10cm aus seiner Ruheposition bewegen, da das Verfugungsmaterial bis 18cm tief ausgewaschen war. Ein Absturz aus über 40m Höhe von zentnerschweren Steinen war zu befürchten. Bei Abnahme der Turmspitze wurde eine bis dahin im Kirchenarchiv unbekannte Kupferhülse mit Inhalt gefunden. Auf dem Foto ist das Einsetzen der neuen Hülse in die Turmspitze durch den amtierenden Pfarrer zu sehen. Das durch den 2. Weltkrieg gezeichnete schöne Westportal wurde ebenfalls statisch gesichert und saniert.
An den 5 großen Chorfenstern mit relativ einfacher Wabenverglasung wurden erste Sanierungen als Sicherungsarbeiten begonnen. Defekte Scheiben wurden ersetzt. Das anliegende Natursteinmauerwerk und das Maßwerk mussten dringend stabilisiert werden. Profilsteinsubstitutionen und umfangreiche Neuverfugungen waren nötig. Zukünftig werden auch die aufwendigen Farbglasfenster saniert.
Aufgrund schlechter Erfahrungen wurde bei den Sanierungsarbeiten ein Inspektionsgerüst zum Kruzifix etwa 10m über dem Haupteingang am Nordportal vorgeschlagen. Von dem darüber befindlichen Rosettenfenster sind umfangreiche Wasserabfließspuren an der Wand zu erkennen. Die Befürchtungen waren berechtigt! Der Korpus mit Echthaar befand sich in Auflösung durch extremen Anobienbefall und drohte in Einzelteilen abzustürzen. Der Anblick ist einfach nur erschütternd und doppelt traurig. Der gelbliche Staub auf den Vorsprüngen am Korpus ist Holzwurmmehl. Da parallel zu dieser Baustelle eine Kirchenbegasung in Rudisleben (St. Johannis) lief, konnten die Anobien sofort abgetötet werden.
Eine sehr komplexe und umfangreiche Sanierungsposition war die Substitution des Glockenstuhles und die Ertüchtigung der Glockenstuhlauflagerkonstruktion. Der in seiner Form aus den 1950er Jahren stammende Glockenstuhl aus mind. zweitverwendetem Holz war zu ersetzen, da er den statischen Anforderungen nicht mehr standhielt. Er war bereits so instabil, dass Glocken beim Läuten an ihm entlangstreiften. Drei der vier vorhandenen Glocken waren aus Eisenhartguß, deren Lebensdauer sich bereits dem Ende näherte. Ein gekröpftes Glockentragejoch der 4,5-Tonnenbronzeglocke hatte bereits einen Riss am Knotenblechansatz. Die ca. 50 Jahre alte Stahlbetontragekonstruktion des Glockenstuhles zeigte erhebliche Rostschäden, blankliegenden Bewehrungsstahl und vor allem nach Prüfung weniger Bewehrungsstäbe in der unteren kritischen Zugzone, als in der sowieso äußerst knapp bemessenen Originalstatik angegeben. Es wurde eine Betonsanierung durchgeführt und ein zusätzliches Raumstahlfachwerk zur Unterstützung der Betonkonstruktion in 24m Höhe über dem Kirchenfußboden eingebaut. Besonderer Beachtung bedurften hier die dynamischen Belastungen aus dem Glockenstuhl. Der neue traditionell errichtete Eichenholzglockenstuhl ist sehr präzise gebaut – eine wahres Schmuckstück zur Aufnahme der drei neugegossenen Glocken und der umfangreich restaurierten Originalglocke. Alle vier Glocken haben wieder ein hölzernes, ungekröpftes Joch.
Im gotischen Chor musste ein Strebepfeiler dringend stabilisiert werden. Der durch die Wandelgangöffnung ohnehin geschwächte Pfeiler zeigte bedenkliche Natursteinzerstörungen im unteren Bereich. Es bestand Einsturzgefahr für große Teile des gesamten Chores. Entsprechende Verformungen der Konstruktion waren ohne Hilfsmittel an Deckenkappen und Deckenrippen durch Rissbilder erkennbar. Eine Deckenrippe verlor bereits ihre Druckspannung und wurde neu verfugt. Die Substitution des Pfeilermauerwerkes war besonders kritisch. Es musste eine Stahlfachwerknotstütze benutzt werden, um die enormen Pfeilerlasten während der Bauzeit auf ein provisorisches Fundament zu leiten. Hierbei waren ebenfalls die Baugrundsetzungserscheinungen unter dem Fundament zu beachten und auszugleichen.
Aufgrund der immer wiederkehrenden Regenwassereinbrüche durch das alte Dach kam es an vielen Bereichen der Gewölbedecken innerhalb der Kirche zu punktuellen Wasserschäden, welche zwingend saniert werden mussten. Putzteile stürzten unkontrolliert aus ca. 17m Höhe herab, so dass die entsprechenden Bereiche im Kirchenschiff abgesperrt werden mussten. Oft waren die defekten Putzbereiche kaum größer als 1m². Trotzdem musste stets extra ein kostenintensiver Gerüstturm gebaut werden. Aus verschiedenen Gründen konnten Hubbühnen nicht eingesetzt werden. Der Verputz erfolgte naturgemäß traditionell in Handauftrag, was auch zum besten Haftverbund mit dem Untergrund führt.
Ingenieurbüro Pahn
Winfried Pahn
Am Vogelsberg 2a
99310 Arnstadt
T 03628 584190 | info@pahn-bau.de